OLG München v. 14 Januar 2016, AZ 29 U 2593/15: Schweigen ist…
Viel beachtet wurde eine Entscheidung des OLG München v. 14. Januar 2016, AZ 29 U 2593/15. Im wesentlichen ging es darum, dass die Anschlussinhaber (Ehepaar) die Tat bestritten, aber mitteilten, dass die Rechtsverletzung durch eines der Kinder vorgenommen wurde, der Beklagte sich aber weigerte den Täter zu benennen. Die Musikindustrie bestritt unter anderem Existenz und den Zugriff der Kinder, die Kinder beriefen sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen. Das Gericht urteilte, dass der sekundären Darlegungslast (eigentlich Täterschaftsvermutung – dazu am Ende) nicht genügt sei, weil die Beklagten nicht mitteilten, wer die behauptete Rechtsverletzung begangen hätte.
Was ist im Rahmen der sekundären Darlegungslast mitzuteilen?
Viele Gerichte haben in der Vergangenheit geurteilt, dass der Beklagte im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast bzw. einer bestehenden Nachforschungspflicht die Nachfrage bei den berechtigten Nutzern stellen muss, ob diese die Rechtsverletzung begangen hätten und das Ergebnis der Befragung mitzuteilen (vgl. LG Hamburg AZ 308 S 18/13 v. 29. August 2014, aA mit ausführlicher Darstellung und Begründung, Forch in GRUR Prax 2015, S. 49 ff ). Dies steht wohl auch im Einklang mit der Entscheidung des BGH v. 11. Juni 2014 – Tauschbörse III wo es heißt:
Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen verpflichtet […] In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat.
Worauf zielte der Angriff der Berufung?
Die Berufung stellt die grundsätzliche Frage – wie weit das „Zumutbare“ reicht. Ist die Mitteilung der Täterschaft des Kindes „zumutbar“. Eine große Wahl hatten die Beklagten nicht, sie mussten diese Frage stellen, weil sie eben wussten, wer die Rechtsverletzung begangen hatte. Ist es aber für Eltern zumutbar – vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Schutzes der Familie – die eigenen Kinder zu „verpfeifen“ oder „zu verpetzen“ – wie es in vielen Beiträgen hieß?
Steht der Schutz der Familie über allem und was ist das Dilemma?
Zunächst ist es sicher unmittelbar einleuchtend, dass der Schutz der Familie nicht unbeschränkt gewährleistet ist. Für den gestohlenen Fernseher muss auch dann Schadensersatz geleistet werden, wenn er der Mittelpunkt des familiären Lebens ist. Die gesetzlich geregelten Zeugnisverweigerungsrechte aus persönlichen oder sachlichen Gründen helfen hier nicht weiter, weil der Beklagte sich auf entsprechende Verweigerungsrechte nicht berufen kann. Kannte der Beklagte den Täter hat er also zwei Möglichkeiten, entweder den Täter zu benennen – woraufhin dieser dann sofort verklagt würde oder zu schweigen und dann als Täter verurteilt zu werden, weil er seiner sekundären Darlegungslast nicht genügte. Dieses Ergebnis erscheint auch dann nicht überzeugend, wenn man bedenkt, dass die Rechtsverletzung tatsächlich stattgefunden hat, denn die Klägerin steht keinesfalls schutzlos. Schließlich steht es ihr frei alle Familienmitglieder zu verklagen. Spätestens dann würde der wirkliche Täter sich offenbaren müssen. Entgegen der Rechtsauffassung des OLG München wäre die Rechtsdurchsetzung also weiterhin voll möglich, weswegen es plausibel erscheint, die Zumutbarkeit der Mitwirkungspflicht des Beklagten Anschlussinhabers daraufhin zu beschränken, ob er den Täter kennt.
Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass bei einem solchen Vortrag die Täterschaftsvermutung unmittelbar durchbrochen ist. Dieses Problem hat wohl auch das OLG München erkannt, weswegen es nicht nachvollziehbar Erwägungen der im Anschluss zu prüfenden sekundären Darlegungslast ohne überzeugende Begründung in die Täterschaftsvermutung transferierte:
OLG München v. 14. Januar 2016, AZ 29 U 2593/15:
Sekundäre Darlegungslast und tatsächliche Vermutung stehen daher nicht einander ausschließlich nebeneinander, sondern greifen wie folgt ineinander: Die sekundäre Darlegungslast betrifft die der Feststellung der Täterschaft vorgelagerte Frage, ob diese Voraussetzungen für die tatsächliche Vermutung vorliegen.
Wahrscheinlich – mir sind die Beweisangebote nicht bekannt – hätte das OLG München sonst auch die Klage abweisen müssen. Denn wenn die Täterschaftsvermutung durchbrochen ist und die weiteren Mitnutzer namentlich genannt wurden und mitgeteilt wurde, dass es einer dieser Mitnutzer war, gibt es auch einen alternativen Geschehensablauf. Für den Umstand, dass es die Kinder gibt und dass diese Zugriff hatten, hätte wohl Parteieinvernahme und ergänzend die nicht gehörten Freunde, die zu Besuch kamen, gehört werden können bzw. vom Landgericht gehört werden müssen.
Fazit:
Nach diesseitiger Auffassung ist dem Beklagten die namentliche Nennung eines Familienmitglieds, welche die Rechtsverletzung begangen hat, auch dann nicht zumutbar, wenn es dessen Namen kennt. Es ist ausreichend, mitzuteilen, dass dahin gehende Erkundigungen stattgefunden haben und mitzuteilen, ob ein Familienmitglied die Verletzung eingeräumt hatte.
Dem jeweils Beklagten sollte aber klar sein, dass es sich bei einer daraus folgenden gerichtlichen Klageabweisung um einen Zwischenerfolg handelt, der regelmäßig weitergehende klägerische Bemühungen gegenüber den weiteren Familienmitgliedern zur Folge haben werden. Es handelt sich also bestenfalls um einen Pyrrhussieg.
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