OLG Hamm 22 W 82/11 v. 27.10.2011 – Grenzen der sekundären Darlegungslast bei Filesharing
Das OLG Hamm AZ 22 W 82/11 v. 27.10.2011 hat sich nun ebenfalls gegen eine faktische Gefährdungshaftung bei Internetanschlüssen ausgesprochen.
Ross und Reiter
Der Praktiker mit Gerichtserfahrung in Filesharing hatte in den letzten Monaten in Gerichtsverfahren gerade in Köln – vgl. Urteil vom 11.5.2011, AZ 28 O 763/10 (Ross und Reiter!) immer wieder mit folgendem Problem zu tun: Der Anschlussinhaber hat die behauptete Rechtsverletzung nicht begangen, und die Kinder bzw. Ehepartner bestreiten die Tat ebenfalls. Gerade am Landgericht Köln führt dies dazu, dass dann unter Hinweis auf die BGH Entscheidung Sommer unseres Lebens gern eine Täterschaftsvermutung installiert, die nur dann zu widerlegen sei, wenn der wirkliche Täter benannt wird. Weitere Indizien Ortsabwesenheit Art der streitgegenständlichen Datei usw. finden dabei an der Landgerichtskammer nur wenig Anlass zur vertieften Prüfung.
Mit den Worten der Kammer des LG Köln aaO:
„Nimmt man die sekundäre Darlegungslast und die sie tragenden Erwägungen ernst, muß daher nach Auffassung der Kammer zumindest „Roß und Reiter“ genannt und mitgeteilt werden, wer die Tat begangen hat“.
Diese Rechtsprechung wird natürlich von abmahnenden Kanzleien gern als Freifahrtschein interpretiert. Dieses Zitat findet sich aktuell in gefühlt jedem zweiten Schreiben etwa der Kanzlei Rasch, welches unsere Kanzlei erreicht. Diese Rechtsprechung ist zu weitgehend, weil Sie zum einen mit der Rechtsprechung des eigenen OLG kaum in Einklang zu bringen sein wird, zum anderen zu massiven Eingriffen in den grundgesetzlich geschützen inneren familiären Bereich führen würde. Ganz zu schweigen von der Frage, wie weit der Anschlussinhaber gehen muss, um ein „Geständnis“ bei seinen Familienmitgliedern zu erreichen um sich zu exkulpieren. Verhöre im Kinderzimmer wollte der BGH sicherlich nicht mit der Entscheidung Sommer unseres Lebens erzwingen.
Nicht ohne Grund ist die Entscheidung nicht rechtskräftig, worauf leider natürlich auch die Kanzlei Rasch in Ihren Schreiben hinweist, ich kann mir nicht vorstellen, dass das Oberlandesgericht die Entscheidung des LG Köln so aufrechterhält, denn wer sich den Sachverhalt welcher dem BGH Sommer unseres Lebens zugrundeliegt darstellt und diesen unter die Entscheidung des LG Kölns subsumiert wird feststellen, dass dann der BGH folgerichtig zu einer Verurteilung des Anschlussinhaber als Täter gekommen sein müsste. Dies ist aber bekanntlich nicht der Fall gewesen.
OLG Hamm holt Ross und Reiter auf den Boden der Realität
Zutreffen hat daher das OLG Hamm festgestellt, dass wenn der Anschlussinhaber mitteilt, wer Zugriff zum PC hatte, der Anschlussinhaber alles getan hat, um seiner Darlegungslast nachzukommen. Er wird nicht auch noch mit dem Risiko behaftet, dass er den Sachverhalt nicht aufklären kann.
Wörtlich OLG Hamm aaO,:
„Denn mit seiner nach Erlass der einstweiligen Verfügung eingegangenen Widerspruchsschrift hat der Verfügungsbeklagte vorgetragen, dass außer ihm noch seine Frau und seine Schwiegereltern Zugang zu seinem WLAN-Anschluss hätten. Damit hat er seiner sekundären Darlegungslast für die ernsthafte Möglichkeit eines eine Täterschaft oder Teilnahme an der Urheberrechtsverletzung ausschließenden Geschehensablaufs genügt (vgl. OLG Köln a. a. 0. Juris-Rn. 9), so dass es die der Verfügungsklägerin obliegende Glaubhaftmachungslast nunmehr erfordert hätte, diese plausible Möglichkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuräumen. Entsprechende Glaubhaftmachungsmittel hat sie nicht anzubieten vermocht.
Entgegen den Ausführungen auf S. 3 Mitte der Beschwerdeschrift ist es aber auch nicht geboten, die sekundäre Darlegungslast in Fällen wie dem vorliegenden weiter zu verschärfen und insbesondere zu verlangen, dass der seine eigene Täterschaft oder Teilnahme bestreitende Anschlussinhaber Nachforschungen über die Täterschaft bei den seinen Anschluss mitbenutzenden Personen anstellt und das Ergebnis mitteilt.“
Eine richtige Entscheidung und eine wichtige Entscheidung, denn es darf nicht vergessen werden, dass die Rechtsprechung bereits mit der Störerhaftung und den teilweise absurd hohen Anforderungen an das Durchbrechen der selbigen, das Pendel schon deutlich in Richtung der Rechteinhaber hat ausschlagen lassen. Den Anschlussinhaber aber ohne gesetzliche Grundlage nun auch noch mit einer faktischen Garantiehaftung zu belegen ist weder geboten noch angemessen, denn der abmahnende Rechteinhaber erhält eine Unterlassungserklärung und Ersatz seiner anwaltlichen Aufwendungen, das ist mehr als ausreichend im Rahmen einer angemessen Risikoverteilung. Wenn nun auch noch Schadensersatz gefordert werden soll, dann ist es durchaus zumutbar, bspw. eine MAC Adresse des individuellen Rechners vorzulegen und damit den wirklichen Täter zu ermitteln, entsprechende Tätigkeit entfalten die Rechteinhaber aber regelmäßig nicht. Das kann aber nicht Grund sein, einfach die Täterhaftung noch weiter auszudehnen und das Prinzip unseres Schadensersatzrecht faktisch auszuhebeln. Wie der BGH in der Entscheidung Sommer unseres Lebens zutreffend festgestellt hat, ist der Schadensersatz vom Täter zu verlangen.
Im Anschluss der lesenswerte Beschluss des OLG Hamm im Volltext.
OBERLANDESGERICHT HAMM 22 W 82/11
BESCHLUSS v. 27.10.2011
4 0 672/10 LG Bielefeld §§ 97 UrhG, 91a ZPO
1. Täter- und Störerhaftung bei von einem Internetanschluss aus begangener Urheberrechtsverletzung.
2. Umfang der sog. sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers gegenüber der vom Rechteinhaber geltend gemachten Täterhaftung.
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht Tewes und die Richter am Oberlandesgericht Schäferhoff und Dr. Krefft am 27. Oktober 2011 beschlossen:
Die (sofortige) Beschwerde der Verfügungsklägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 18.7.2011 wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von bis 2.500 € zu tragen.
Gründe:
Die zulässige (sofortige) Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Entscheidung des Landgerichts, die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens gemäß § 91a ZPO gegeneinander aufzuheben, ist jedenfalls nicht zum Nachteil der beschwerdeführenden Verfügungsklägerin falsch.
1
Hierzu bedarf es keiner Entscheidung der Streitfrage, ob es dem Verfügungsbeklagten zur Vermeidung einer sog. Störerhaftung oblegen hätte, seinen WLAN-Anschluss seinen erwachsenen Haushaltsangehörigen (Ehefrau und Schwiegereltern) entweder gar nicht zur Mitnutzung zu überlassen, also durch ein diesen nicht bekanntgegebenes Passwort zu sichern, oder aber nur unter der Voraussetzung zur Mitnutzung zu überlassen, dass sie sich mit angemessenen Überprüfungsmaßnahmen einverstanden erklärten (offen gelassen ebenfalls in OLG Köln MMR 2011, 396, Juris-Rn. 13).
2.
Denn auch wenn eine Störerhaftung des Verfügungsbeklagten zu bejahen gewesen sein sollte, wäre jedenfalls der von der Verfügungsklägerin gestellte Antrag zu weitgehend gewesen und hätte daher der Teilabweisung unterlegen.
a)
Dieser Antrag war darauf gerichtet, dem Verfügungsbeklagten die Verbreitung pp. des fraglichen Musikstückes zu verbieten (S. 2 der Antragsschrift). Ein solcher Antrag ist nach zutreffender höchstrichterlicher Rechtsprechung nur bei einer selbst, d. h. als Täter oder Teilnehmer, begangenen Rechtsverletzung gerechtfertigt (vgl. BGH NJW 2010, 2061, Juris-Rn. 35 f.). Ihm war durch den Senatsbeschluss vom 3.2.2011 (22 W 9/11) entsprochen worden, weil zum damaligen Zeitpunkt ein Verteidigungsvorbringen des Verfügungsbeklagten noch gar nicht vorlag und folglich durch die Glaubhaftmachung seiner Anschlussinhaberschaft auch eine eigene Begehung als Täter oder Teilnehmer hinreichend glaubhaft gemacht war.
b)
In dem nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen bzw. des Vergleichsschlusses wäre eine eigene Tatbegehung des Verfügungsbeklagten jedoch nicht mehr mit dem erforderlichen Beweismaß der Glaubhaftmachung (= überwiegende Wahrscheinlichkeit) feststellbar gewesen.
Denn mit seiner nach Erlass der einstweiligen Verfügung eingegangenen Widerspruchsschrift hat der Verfügungsbeklagte vorgetragen, dass außer ihm noch seine Frau und seine Schwiegereltern Zugang zu seinem WLAN-Anschluss hätten. Damit hat er seiner sekundären Darlegungslast für die ernsthafte Möglichkeit eines eine Täterschaft oder Teilnahme an der Urheberrechtsverletzung ausschließenden Geschehensablaufs genügt (vgl. OLG Köln a. a. 0. Juris-Rn. 9), so dass es die der Verfügungsklägerin obliegende Glaubhaftmachungslast nunmehr erfordert hätte, diese plausible Möglichkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuräumen. Entsprechende Glaubhaftmachungsmittel hat sie nicht anzubieten vermocht.
Entgegen den Ausführungen auf S. 3 Mitte der Beschwerdeschrift ist es aber auch nicht geboten, die sekundäre Darlegungslast in Fällen wie dem vorliegenden weiter zu verschärfen und insbesondere zu verlangen, dass der seine eigene Täterschaft oder Teilnahme bestreitende Anschlussinhaber Nachforschungen über die Täterschaft bei den seinen Anschluss mitbenutzenden Personen anstellt und das Ergebnis mitteilt. Denn für die Plausibilität der Möglichkeit, dass der Anschlussinhaber nicht Täter oder Teilnehmer der Urheberrechtsverletzung war, macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob er nur einen bestimmten Kreis von Personen benennt, die aufgrund ihrer Zugangsmöglichkeit zu dem WLAN-Anschluss die Rechtsverletzung abstrakt begangen haben könnten, oder ob er darüber hinaus all diese Personen konkret nach ihrer Tatbegehung befragt und das Ergebnis mitteilt. Auch wenn der Anschlussinhaber nämlich als Ergebnis mitteilen würde, dass alle befragten Personen eine Tatbegehung in Abrede gestellt hätten, würde dadurch das Bestreiten seiner eigenen Tatbegehung nicht unplausibel, weil die lebensnahe Möglichkeit bestünde, dass der wahre Täter die von ihm begangene Rechtsverletzung wegen der zu erwartenden Konsequenzen nicht zugegeben hat.
Es geht der Verfügungsklägerin denn auch weniger um die Plausibilität des Bestreitens des Verfügungsbeklagten, als vielmehr um den Gesichtspunkt, dass ihr die Verfolgung von als Täter oder Teilnehmer begangenen Rechtsverletzungen erschwert sei. Das aber ist keine Frage der sekundären Darlegungslast, sondern eine Folge der tatsächlichen und technischen Gegebenheiten.
3.
Verblieb mithin im maßgeblichen Zeitpunkt des Vergleichsschlusses als aussichtsreiche Haftungsgrundlage nur noch die sog. Störerhaftung, so wäre aufgrund dessen nur ein weniger weitgehender Antrag gerechtfertigt gewesen, nämlich mit dem Inhalt, es dem Verfügungsbeklagten zu verbieten, dritten Personen die Verbreitung des fraglichen Musikstückes zu ermöglichen (vgl. BGH a. a. 0.; OLG Köln a. a. 0. Juris-Rn. 7). Es wäre sogar fraglich gewesen, ob dieser Antrag ohne weiteres in dem bis dahin gestellten Antrag, dem Verfügungsbeklagten die eigene Verbreitung zu verbieten, enthalten gewesen wäre (vgl. OLG Köln a. a. 0.). Jedenfalls wäre die Verfügungsklägerin auch dann, wenn die Voraussetzungen der Störerhaftung zu bejahen gewesen sein sollten, mit einem Teil des ursprünglich rechtshängigen Streitgegenstandes unterlegen, was bereits die
Kostenaufhebung gerechtfertigt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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